Glaubensfrage

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karl-marxVor dem Europaparlament hielt der Papst Ende November eine Art vorgezogene Weihnachtsansprache. Das katholische Oberhaupt forderte von den Europäern einen verstärkten Einsatz für die ,,Würde“ des Menschen und beklagte die „barbarische Gewalt“, der „besonders die christlichen Minderheiten in verschiedenen Teilen der Welt“ ausgesetzt seien. Er pries in diesem Zusammenhang das Christentum als eine Art Impfstoff gegen den Extremismus, was er selbstverständlich etwas filigraner formulierte: Europa solle „sich die eigenen religiösen Wurzeln zunutze“ machen, um „leichter immun zu sein gegen die vielen Extremismen, die sich in der heutigen Welt“ verbreiteten. Seine Conclusio: „Es ist gerade die Gottvergessenheit und nicht seine Verherrlichung, die Gewalt erzeugt“, zitierte er seinen Vorgänger. Man kann dem wichtigsten Werbeträger einer Institution nicht verdenken, dass er für diese mit wohlgesetzten Worten wirbt. Das gilt für den Papst, wie es für einen Sportfunktionär gälte, der selbstverständlich die von ihm vertretene Sportart rühmen und die Schädigungen verschweigen würde, die einträten, wenn man ihr in einem übertriebenen Maß nachginge. Leider hat die übertriebene Verherrlichung Gottes mehr Opfer gekostet als jeder Sport. Dass über die Papstrede keine Diskussion entstand, kann mit zwei Phänomenen zu tun haben: mit der Popularität dieses sympathischen, unkonventionellen Menschen sowie dem medialen Hochgeschwindigkeitszug, der wegen solcher komplizierter Gedanken nicht anhält. Es lohnt aber innezuhalten. Eine der großen Fragen des vorigen Jahrhunderts war die nach Wesen oder Unwesen des Kommunismus. Haben der Realsozialismus in der Sowjetunion oder der Steinzeitkommunismus unter Pol Pot in Kambodscha das Wesen dieser politischen Heilslehre entstellt oder auf tragische Weise freigelegt? Philosophen haben darüber diskutiert. Die klarste Antwort gab die Realität: die nicht mehr vorhandene Bereitschaft der Menschen, sich für ein erneutes sozialistisches Experiment zur Verfügung zu stellen. Der Minimalphilosoph Norbert Blüm brachte die Niederlage des Sozialismus auf die Kurzformel: „Marx ist tot, Jesus lebt.“
Die Frage nach Wesen und Entstellung wird heute wieder aufgeworfen. Nur müssen sich nun gläubige Menschen mit ihr auseinandersetzen. Also Menschen, die – egal welchen – Gott „verherrlichen“, um beim Papst zu bleiben. Die Grundannahme, die Gottvergessenheit und nicht die Gottesverherrlichung erzeuge Gewalt, widerspricht der Erfahrung der letzten Jahrzehnte. Im Gegenteil. Man könnte beinahe ein mechanisches Gesetz über das Verhältnis von Glauben und Gewalt formulieren: je dichter die Anzahl der Verherrlichen Gottes, desto größer die Gefahr der Gewalt.

Post Title: Glaubensfrage
Author: Thomas
Posted: 8th Januar 2015
Filed As: Uncategorized
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